#1 Fernverkehr Dosto bei SBB von Peter C. 02.07.2022 16:56

Unter dem Titel "Drama um den FV-Dosto: An der SBB-Spitze ist zu wenig Bahnkompetenz vorhanden" erschien ein interessantes Kommentar über die Probleme bei der SBB

von Tobias Gafafer 01.07.2022, 16.35 Uhr (www.nzz.ch)

>> Die SBB-Spitze zieht die Notbremse: Sie verzichtet darauf, mit den FV-Dosto schneller durch Kurven zu fahren. Die dafür nötige Wankkompensation ist zu wenig stabil, wie die NZZ berichtete. Der Komfort sei ungenügend, sagte der SBB-Chef Vincent Ducrot am Freitag vor den Medien. Es ist das hoffentlich letzte Kapitel im Drama um die grösste Rollmaterialbeschaffung, welche die Bundesbahnen je tätigten.
Der Entscheid hat weitreichende Folgen für das Angebot. Die Reduktion der Fahrzeiten auf unter eine Stunde, die auf den Strecken Lausanne–Bern und Zürich–St. Gallen ab Ende 2035 geplant war, ist nicht umsetzbar. Damit sind auch die Knotenpunkte mit guten Anschlüssen vorderhand Makulatur. Namentlich in der Romandie ist der Unmut gross. Die SBB streben zwischen Lausanne und Bern als Ersatz eine Neubaustrecke an. Das wird grosse Investitionen nach sich ziehen und länger dauern.
Dennoch ist es nachvollziehbar, auf schnellere Kurvenfahrten zu verzichten. Bei der Bahninfrastruktur standen weitere Investitionen für die Wankkompensation an, auf Kosten des Steuerzahlers. Vor allem aber sind die FV-Dosto bei den Passagieren und beim Zugspersonal ohnehin wenig beliebt. Weitere Probleme hätten das Fass zum Überlaufen gebracht. Ein Ende mit Schrecken ist einem Schrecken ohne Ende vorzuziehen. Doch bei allen Schwierigkeiten gilt es die Relationen zu wahren. Wenn er störungsfrei funktioniert, ist der FV-Dosto nicht so schlecht, wie er gemacht wird.
Natürlich sind die älteren Fernverkehrswagen komfortabler. Aber bei einem doppelstöckigen Triebzug wirken andere Kräfte. Entscheidend ist nun, dass die SBB mit dem Hersteller Alstom die Zuverlässigkeit weiter erhöhen – statt bereits vom Lebensende der neuen Triebzüge zu sprechen. Entschuldigungen gibt es keine mehr. Denn die 62 FV-Dosto bilden in den nächsten zwei Jahrzehnten das Rückgrat des Fernverkehrs.
Die Triebzüge erinnern an die Ära des früheren SBB-Chefs Andreas Meyer, der gerne Superlative benutzte. Auf dem Papier konnte der FV-Dosto fast alles, was im Schweizer Bahnnetz wünschbar ist. Er sollte beschleunigungsstark und energieeffizient sein, eine höhere Kapazität bieten und schneller durch Kurven sowie ins benachbarte Ausland fahren. Zudem versprachen die SBB, dass sich dank der Wankkompensation Ausbauten der Bahninfrastruktur für über eine Milliarde Franken erübrigten. Die letzten Jahre haben die Verantwortlichen brutal in die Realität zurückgeholt.
Beschaffungen von Rollmaterial sind hochkomplex. Auch andere Bahnen und Hersteller kämpfen mit Problemen. Der FV-Dosto der SBB ist jedoch ein krasses Beispiel, wie man es nicht machen sollte. Das Geschäft war von Anfang schlecht aufgegleist. Die SBB stellten zu viele und zu hohe Anforderungen. Der Hersteller Alstom konnte diese kaum alle erfüllen und versprach zu viel. So musste dieser die Triebzüge aufwendig für Einsätze in Deutschland anpassen, was für Verzögerungen mitverantwortlich war. Inzwischen ist klar, dass die FV-Dosto nicht wie geplant nach München fahren sollen. Für kürzere Einsätze wie nach Konstanz hätten sich die SBB die Anpassungen wohl sparen können.
Dass die Bundesbahnen künftig auf bewährte Rollmaterialtypen setzen wollen, ist richtig. Im Vergleich zu Lastwagen oder Autos handelt es sich bei Zügen um Kleinserien. Ein Triebzug ab dem Reissbrett und ohne Prototyp, wie es früher üblich war, birgt erhebliche Risiken. Doch die Rollmaterialstrategie der SBB im Fernverkehr wirkte in den letzten Jahren generell wenig durchdacht. So bieten die Neigezüge, die erst seit Ende 2020 zwischen Zürich und München fahren, zeitweise und auf gewissen Streckenabschnitten bereits wieder zu wenig Platz.
Für die Fehler ist nicht nur die operative Spitze der SBB, sondern auch der Verwaltungsrat verantwortlich. Dieser sollte aus dem Drama beim FV-Dosto ebenfalls seine Lehren ziehen. Betriebswirtschaftliche Kenntnisse sind wichtig, aber neben Ökonomen und Juristinnen braucht es genug Vertreter mit Branchenerfahrung. Im SBB-Verwaltungsrat war und ist zu wenig Bahnkompetenz vorhanden. Das muss sich ändern. <<

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