Aber das ändert j eben nichts mehr daran, dass man sie im Regelfall nicht benötigt.

Man kann alles einmal versuchen...

Was? Du erwähnst "KVB" und "verbaut" in einem Satz?

Ah, klar. Ergibt Sinn...

Warum darf der ICE nicht nach London fahren?

Bislang erfüllt der schnelle Zug aus Deutschland die im Eurotunnel geltenden Bestimmungen zum Brandschutz nicht. Doch das könnte sich schon bald ändern

Was Auto und Flugzeug seit Langem können, will nun auch die Bahn erreichen: grenzenlose Bewegungsfreiheit ohne Umsteigen. "Wir wollen mit dem ICE ans Mittelmeer und durch den Eurotunnel nach London", erläutert Bahn-Chef Rüdiger Grube die Zielvorgabe. Während das Mittelmeer schon Ende 2011 auf dem Fahrplan stehen soll, liegt eine Verbindung Köln-London noch in weiter Ferne. "Dafür gibt es kein Zeitfenster", lässt der Konzern verlautbaren, obwohl man seit 2007 mit dem Mehrsystem-Zug ICE 3M durch Frankreich und Belgien rollt. Die letzte Hürde ist die Zulassung für die Fahrt durch den Eurotunnel, und die ist von der zuständigen "Channel Tunnel Intergovernmental Commission" bislang nicht zu bekommen. Angeblich ist der Brandschutz das Problem. Aber der ICE 3M hat schon ganz andere Hürden gemeistert. Sechs Jahre dauerten Umbau, Test und Zulassung, bis er in Paris ankam.

Die Geschichte der Bahn reicht weit in das 19. Jahrhundert zurück. Das spürt man bis heute. Lokführer benötigen für jedes Land eine spezielle Ausbildung. Zu verschieden sind die technischen Systeme. Die kleinstaatliche Signalvielfalt aus der Dampfmaschinenzeit wurde bei der Entwicklung moderner Zugbeeinflussungssysteme vor rund 30 Jahren nahtlos übernommen. Niemand konnte sich damals angesichts der völlig unterschiedlichen Stromsysteme eine Lok für mehrere Normen vorstellen. Damit aber künftig zusammenwächst, was sich bislang separat entwickelte, war die Konstruktion eines teuren Hybridzugs nötig, der die Technik von drei Zügen in einem Gehäuse vereint.

Vor allem das Zusammenspiel des deutschen Hochgeschwindigkeitszugs mit den diversen französischen Alt- und Neubaustrecken wollte anfangs nicht so recht gelingen. Insgesamt ein Entwicklungsprozess, der sich über sechs Jahre von 2001 bis 2007 hinschleppte.

Inzwischen rollt der deutsche ICE 3M durch Frankreich, Belgien und die Niederlande. Dank moderner Thyristortechnik ist die Stromversorgung, trotz verschiedener Spannungen und Frequenzen, nur noch ein finanzielles Problem. Lediglich einige zusätzliche Schaltschränke im Innern des ICE 3M deuten auf den technischen Mehrbedarf hin. Die Lok verdaut klaglos 1500 Volt, 3000 Volt, 15 000 Volt und 25 000 Volt. Die Umstellung an den Landesgrenzen erfolgt denkbar einfach. Der Zug wird in einer neutralen Zone zunächst stromlos gemacht, und die landesspezifischen Stromabnehmer senken sich. Dann geht die Fahrt mit der neuen Spannungsversorgung und den "richtigen" Stromabnehmern weiter. Drei Stück pro Fahrtrichtung - also insgesamt sechs - hat der ICE 3M auf seinem Dach.

Ganz ähnlich sieht es bei den Zugsicherungssystemen aus. Auch hier heißt die Devise: Alles muss dreifach an Bord sein oder besser sechsfach, denn neben den Systemen für die Hochgeschwindigkeitsstrecken fordern die Zulassungsbehörden überdies die Sicherungstechnik für die jeweiligen Altsysteme. Diese verfügen über eine eigene elektronische Sicherung, die bei einem überfahrenen Haltesignal eine Zwangsbremsung auslöst.

In Deutschland ist die klassische Zugbeeinflussung mit Signalampeln für die ICE-Flotte kaum noch relevant. Sie wurde in den letzten drei Jahrzehnten immer mehr durch die Linienzugbeeinflussung (LZB) abgelöst. Die Leitstelle kommuniziert dabei über Antennen zwischen den Gleisen permanent mit dem Zug und informiert den Lokführer über die maximal mögliche Geschwindigkeit. Bleibt der vor ihm fahrende Zug liegen oder tritt eine andere Störung auf, wird die Garnitur auf diesem Wege rechtzeitig gestoppt. Ganz Ähnliches leistet das französische Zugbeeinflussungssystem TVM (Transmission Voie-Machine), allerdings auf eine ganz andere Weise. Zug und Leitstelle tauschen nicht nur andere Datenpakete aus, auch bei der Darstellung im Cockpit pflegt jedes Land seine eigenen Vorlieben.

Geht die Fahrt zunächst durch Belgien, kommt zunächst die dortige Variante zum Zuge, das ETCS (European Train Control System). Irgendwann in ferner Zukunft soll das ähnlich dem Mobilfunknetz arbeitende ETCS zum einheitlichen Signalsystem für ganz Europa werden. Doch bis es so weit ist, müssen die Loks der schnellen Europa-Züge alle Systeme beherrschen. In den Hybridzügen sind sie alle nebeneinander eingebaut.

Doch nicht nur bei der Elektrik und Signaltechnik der Eisenbahnen gibt es Anpassungsbedarf. Selbst so profane Dinge wie Windleitbleche gegen Schotterflug mussten nachgerüstet werden und sogar eine spezielle Öse zum Fixieren von gefesselten Personen. Die Bleche schützen die beim deutschen ICE 3 tief liegenden, über den ganzen Zug verteilten Antriebsmotore gegen den in Frankreich hoch aufgeschütteten Schotter. Die Öse aus Metall fordert die französische Polizei für zumindest ein Abteil, um Verhaftete fixieren zu können.

Bevor sich die deutschen Räder nach Paris in Bewegung setzen konnten, waren langwierige Tests und Nachbesserungen nötig, bis hin zum Austausch von Transformator-Komponenten. Später wurden Türen und Tritte an die niedrigeren Bahnsteige angepasst. Ebenso angepasst wurden die deutschen Wirbelstrombremsen. Sie arbeiten jetzt auf französischem Gebiet auf Wunsch der Staatsbahn SNCF schienenschonender und bringen den Zug sanfter zum Stillstand als in Deutschland.

Alleine das Genehmigungsverfahren für diese Änderungen kostete 28 Millionen Euro. Der Umbau der Züge noch einmal acht pro Garnitur. Der ICE 3M ist inzwischen in Frankreich, Belgien, den Niederlanden sowie Österreich und der Schweiz zugelassen und fährt regelmäßig nach Paris und durch die längsten Alpentunnel. Allein der "Ritterschlag", die Passage durch das Meisterstück des europäischen Tiefbaus, bleibt ihm versagt. Durch den 50 Kilometer langen Eurotunnel darf der ICE 3M nicht. Noch nicht.

Ein 400 Meter langer ICE 3 lässt sich zwar problemlos in zwei selbstständig fahrbereite Züge je 200 Meter Länge aufteilen. Ein Übertritt während der Fahrt von einem Teil zum anderen ist aber nicht möglich, und genau das verlangte bislang die Kommission. Im Notfall sollen sich alle Passagiere in den noch fahrbereiten Teil des Zuges flüchten können. Sanfter Druck der europäischen Wettbewerbshüter könnte dieses Verdikt allerdings kippen. Eine völlige Neukonstruktion des Zuges, nur um so die Reise nach London zu ermöglichen, käme jedenfalls zu teuer. Aus Sicherheitsgründen müssen Personenzüge im Tunnel bislang eine Länge von mindestens 375 Metern aufweisen, um die Fluchtschächte erreichen zu können. Auch das ist ein Problem für den aus zwei Teilen bestehenden ICE 3M. Ferner sollen die Züge unter Brandbedingungen mindestens noch 30 Minuten im Tunnel weiterfahren können.

Was nun also vom wem noch zu tun ist, darüber kann oder will aktuell niemand bei der Deutschen Bahn reden. Vielleicht hilft aber auch der Wunsch der krisengeschüttelten Briten, sich von ihrem 40-Prozent-Anteil am chronisch defizitären Tunnelbetreiber Eurostar zu trennen. Würde die Deutsche Bahn zuschlagen, säße sie vermutlich deutlich gestärkt am Verhandlungstisch. Seit Ende 2009 gibt es Gerüchte rund um einen Verkauf. Passiert ist bislang aber noch nichts. Allerdings orderte die Bahn bei Siemens schon einmal 15 neue Mehrsystemzüge. Ist das möglicherweise ein Indiz dafür, dass demnächst doch ICE-3M-Züge unter dem Ärmelkanal rollen werden?

Bahntechnisch gehört die Strecke durch den Eurotunnel bis nach London zu Frankreich. Die gesamte Neubaustrecke, die den Kanaltunnel mit der britischen Hauptstadt verbindet, ist komplett mit französischer Bahntechnik bestückt. Ist der ICE 3M erst einmal auf der Insel, geht es also problemlos bis nach London - weiter allerdings nicht. Denn die britischen Züge sind ein klein wenig schmaler als die französischen und deutschen. London wird also auf jeden Fall für lange Zeit der Endhaltepunkt für den ICE sein. Überall im Vereinigten Königreich würde er sonst mit jeder Bahnsteigkante kollidieren.

Quelle: Die Welt