Wie ein Damoklesschwert schwebt die Eröffnung der ICE-Neubaustrecke durch den Thüringer Wald über dem Fernverkehr auf der Saalbahn. Rollen die Schnellzüge eines fernen Tages von Berlin über Erfurt nach München, droht den Städten an der bisherigen Strecke die Abkopplung.

Dieses Thema rückte der Deutsche Bahnkunden-Verband auf die Tagesordnung seines Forums in Jena. "Im Moment leben wir auf einer Insel der Glückseligen", sagte der Bürgermeister von Saalfeld, Matthias Graul . Während in Großstädten wie Gera oder Chemnitz keine Fernzüge mehr halten, stoppen die ICE in Saalfeld aller zwei Stunden. "Geschäftspartner unser hiesigen Unternehmen fliegen über Leipzig oder München ein und kommen so bequem in unsere Region", sagt Graul.

Ähnlich in der Universitätsstadt Jena. Allein die 3300 Wissenschaftler bieten ein gutes Potenzial an Reisenden. Hinzu kommen über 25 000 Studierende und eine starke Industrie. "Verschiedene Initiativen kämpfen um den Fernbahnanschluss", resümiert Wilfried Röpke, Geschäftsführer von JenaWirtschaft. "Sie eint, dass sie längere Fahrzeiten und höhere Kosten fürchten."

Die Strategie des Landes führt jedoch dazu. Das Verkehrsministerium setzt auf eine schnelle Anbindung der Regionen an Erfurt, wo der Einstieg in den Fernverkehr erfolgen soll. Doch der Umweg schlägt sich wegen der höheren Kilometerzahl in steigenden Fahrpreisen nieder. Die Geschwindigkeitsvorteile der ICE ab Erfurt werden aufgezehrt durch die Anreise im Regionalzug und die Umsteigezeit.

Während die Jenaer hoffen dürfen, in 25 Minuten die Landeshauptstadt zu erreichen, sind die Saalfelder doppelt so lange unterwegs. "Mit Komfort hat das wenig zu tun", sagt Bürgermeister Graul. Ziel müsse sein, auch nach dem Start der Neubaustrecke im Jahr 2017 weiter Fernzüge zu behalten. "Zumindest von Nürnberg nach Leipzig oder Berlin."

Bahngutachter Prof. Karl-Dieter Bodack macht den Ostthüringern wenig Hoffnung. "Die Deutsche Bahn setzt auf eine Umsatzrendite von zehn Prozent", sagt der frühere Bahnmanager, der kritisch mit dem heutigen Management ins Gericht geht. Das beginne bereits bei der Bestellung von Fahrzeugen. Der Konzern setze bei den neuen IC-Generationen so hohe Standards an, dass die Züge 35 000 Euro pro Sitzplatz kosten. Bodack zufolge würden Wagen reichen, die nur gut die Hälfte pro Sitzplatz kosten.

Designexperte Bodack gehört zu den Verfechtern des Interregio-Konzepts. Diese Fernzüge, die zumeist im Zwei-Stunden-Takt fuhren, banden als Produktgruppe unterhalb des Intercitys auch Städte mittlerer Größe ans Fernbahnnetz an. Die Bahn nahm sie nach der Privatisierung aus dem Programm, weil sich Fernverkehr fortan selbst tragen musste.

Ein Aufwand von 70 bis 90 Millionen Euro pro Jahr wäre notwendig, um ein vergleichbares Netz wieder zu etablieren, rechnete Bodack vor. Von diesen Vorschlägen wollte jedoch der heutige Bahnvorstand nichts wissen.

Bodack rät den betroffenen Kommunen, vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Im Grundgesetz sei verankert, dass sich der Bund um eine adäquate Anbindung der Regionen an die Fernbahn zu kümmern habe. "Notfalls müssten mehrere Städte den Bund wegen Untätigkeit verklagen", sagt Bodack. Helfen könnte auch, wenn die Bahn über diesen Weg gezwungen werde, ihre Netzentgelte zu reduzieren. "Dann würden auch andere Anbieter fahren."

Derek Ladewig leitet den Hamburg-Köln-Express, der ab 2011 als Konkurrent zur Deutschen Bahn starten soll. "Wir konzentrieren uns auf die Verkehre zwischen den Metropolen", sagt Ladewig. Nur dort reiche das Fahrgastpotenzial aus, um solche Angebote wirtschaftlich zu betreiben. Heißt: Sollte sich die Deutsche Bahn von der Saalbahn zurückziehen, werden wohl keine Wettbewerber folgen.

Möglicherweise besteht aber Hoffnung auf eine weitere ICE-Anbindung Ostthüringens. In einem internen Bahnkonzept sind zumindest Züge in Tagesrandlage aufgeführt. Jüngst warb Bahn-Vorstand Ulrich Homburg dafür, mit den Ländern neue Fernverkehrsangebote zu etablieren. Heißt: Fließen Subventionen, betreibt die Bahn gern ICE auf weniger stark nachgefragten Linien.

Staatssekretärin Dr. Marion Eich-Born aus dem Thüringer Verkehrsministerium zeigte sich gestern prinzipiell offen für solche Lösungen. "Wir verhandeln mit der Bahn", sagte sie der OTZ. Konkret versprechen, bat sie um Verständnis, könne sie freilich noch nichts.

Quelle: Osttühringer Zeitung